Aus: Literatur und Kritik, Nr. 401, Otto Müller Verlag 2006
Einige Zeilen über das Gedichteschreiben
Gedichte sind Überfälle.
Sie erfordern eine andere Durchlässigkeit als jene, die das Schreiben von
Prosa voraussetzt.
Plötzlich ist etwas da, das zu einem Gedicht werden will.
Manchmal springt eine Metapher für eine längst vergangene Situation oder ein
Bild für einen Ort in den Kopf, den ich vor zwei Jahren besucht habe oder
vor zehn. Schon ist eine Melodie vorhanden, eine Haltung.
Danach beginnt die Arbeit und die ursprüngliche, überfallsartige Form kann
sich völlig ändern. Trotzdem bleibt etwas von dieser ersten Fühlung
verborgen im späteren fertigen Gedicht.
Vielleicht läßt sich von meinen Gedichten sagen, daß sie immer aus gelebten
Erfahrungen stammen. Sie sind keine Luftgebilde. Sie kommen aus einer
Geschichte und bilden eine Geschichte.
Sie sind immer Zustandsbilder von realen Vorkommnissen - auch wenn es in
ihnen Engel gibt, die ums Haus poltern oder jene, die sich nachts zu unseren
Füßen ins Bett legen.